Dienstag, April 03, 2007

"Wir sind politisch und sexuell anders denkend"

Es hat uns niemand gefragt
wir hatten noch kein Gesicht
ob wir leben wollten oder lieber nicht
hin und her und hin- und her gerissen
zwischen verstehen wollen und handeln müssen
keine Liebe, keine Arbeit, kein Leben
an meinem Kissen schlag' ich mir den Kopf auf
und wenn der Tag kommt bleibt es kleben
Und der Staat ist kein Traum
sondern bleibt wie mein Kissen
ein mich gestaltender, die Fäden, die rissen
und Welt verwaltender Zustand
der sich durch mich und mich bewegt
durch Gedanken aus Stein, aus Licht eine Mauer
eine Sonne aus Eisen und eine Sprache aus Trauer

Eine eigene Geschichte
aus reiner Gegenwart
sammelt und stapelt sich
von selbst herum um mich
während ich durch die Gegend fahr
- Eine eigene Geschichte, L'etat et moi

Eine der einflußreichsten Bands der Hamburger Schule schließt ihre Pforten, zieht einen Schlußstrich, verstummt. Während die Sterne die Prolls waren und Tocotronic ,die schüchternen Jungs, die auf ihre Turnschuhe starrten, bis sie erwachsen wurden, waren Blumfeld schon immer die intellektuellen ("geistig, [allein] vom Verstand her") und erwachsenen unter diesen Bands. Vor allem in den ersten beiden Alben, "Ich-Maschine" und "L'etat et moi", zeigten sie, dass es möglich ist, komplexe deutsche Texte zu schreiben, die jenseits von Schlager und Volksmusik Herz-Schmerz und Heile Welt Geseier liegen.
Gerade diese Texte, unabhängig von der Musik, machten es auch Vielen schwer diese Band zu verstehen und zu 'erfühlen'. Dabei waren sie, zusammen mit den genannten Bands, die Wegbereiter der "Neuen Neuen Deutschen Welle" die Bands wie Silbermond, Juli, Wir sind Helden, Mia u.a. hervorgebracht haben.
Lass uns von den Geistern sprechen, die ich rief.

ich will morden
den Apparat, der Dich und mich
bloß Apparat sein läßt

Wenig später wird ein Körper
eine Narbe aus Beton sein
wenig später wird jeder Nerv in Napalm
gelegt und verbrannt sein
Stirb oder sei wie wir
-
Von der Unmöglichkeit, "Nein" zu sagen, ohne sich umzubringen, Ich-Maschine

Was diese Bands von ihren späteren Nachfolgern unterscheidet, ist, durch ihre Entstehung Anfang bis Mitte der 90'er Jahre bestimmt, ein klares Statement gegen eine neue Deutschtümelei, die in ihrer Naivität, der Hoffung auf bessere Quote und Geld, nicht weniger gefährlich ist, als die aggressive "gegen alles nicht-deutsche" rechte Gesinnung, die immer noch, wie ein Gespenst durch diese Republik geistert. Sie ist in vielerlei Hinsicht gefährlicher, da sie schleichend in die Hirne dringt und Haltungen und Gedanken hoffähig macht, die uns wieder in die dunkle Vergangenheit zurückwerfen. Die Freude ist groß, woran es auch liegt, sie schwenken dazu ihre Fahnen. Es geht wieder los, sie singen ihr Lied, unschuldig wie einst ihre Ahnen. (Deutschland der Deutschen, Ein Lied mehr).
Blumfeld waren schon immer politisch, auch wenn die Sicht auf die Situation immer von Innen, von dem eigenen Ich, aus gesehen wird. Persönlich und nicht abstrakt. Und die politische Haltung war immer links, gegen die Zustände, die krank machen, die Zwänge, die von der entsozialisierten Marktwirtschaft auf die Menschen geworfen werden. Funktionier' oder stirb.
Umso erschreckender für die Lage der Nation, ist es, dass eine solche Band ein klares Statement gegen eine Deutsch-Quote im Radio abgeben musste, um nicht für diese Bewegung eingenommen zu werden. Blumfelds Lieder und Texte haben ihre Haltung gegenüber solche Anliegen mehr als deutlich gemacht, wenn man sich denn damit auseinandergesetzt hätte.

In den letzten Jahren, vor allem mit dem letzten Album der Band, hat sich Blumfeld von den deutlichen politischen Statements entfernt, die sie vorher von sich gegeben haben und haben sich zurückgeworfen auf das eigene Ich, entfernt von der Welt der Menschen und dadurch der Welt nähergekommen. Die Welt, die da draussen auch existiert, jenseits von Medien, Markt und Politik. Die Welt, die aus Pflanzen, Tieren, Blumen, Käfern und Bäumen besteht. Und gerade damit haben sie ein Zeichen gesetzt, das vielleicht deutlicher ist, als zuvor. Ein lautes Nein von hier zur Wand.

Und vielleicht ist damit alles gesagt worden, was zu sagen war. Und es war Zeit zu gehen. Vielleicht aber fehlt jetzt auch eine Stimme, die sich gegen die Mias und Schäubles dieser Tage wendet. Aber wenn Jochen Distelmeier alleine weiter Musik macht, dann ist die Stimme doch noch nicht verstummt, wenn er sich denn nicht im Hain der Apfelbäume verliert.

Status: Quo Vadis
stets dem Leben zu
hüten wir die Schwelle
zwischen Ich und Du
Sorge braucht Zusammenhänge
Zärtlichkeit braucht Zeit
Musik für eine andere Wirklichkeit
-
Status: Quo Vadis, Old Nobody

Jetzt ist "Ein Lied mehr (The Anthology Archives Vol. 1)" erschienen, welches neben den kompletten ersten drei Alben (Ich-Maschine, L'etat et moi und Old Nobody), eine Live-CD und eine CD mit alternativen Versionen von Songs (zu empfehlen: Verstärker), sowie zwei neuen Liedern, ein Cover (The Law von Leonard Cohen) und Deutschland der Deutschen, enthält. Für diejenigen unter uns, die die ersten drei Alben noch nicht ihr eigen nennen, mehr als lohnend, für alle anderen ist allerdings etwas zu wenig Inhalt vorhanden.

Wertungen:

Ich-Maschine 9/10
L'etat et moi, 10/10
Old Nobody, 9/10
Testament der Angst, 10/10
Jenseits von Jedem, 5/10
Verbotene Früchte, 7/10

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